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2010-06 Was die Staatsfinanzen betrifft, könnte Russland einigen EU-Mitgliedern als Vorbild dienen

Öl und Gas – das ist häufig alles, was Investoren im Zusammenhang mit Russland einfällt. Nicht mehr lange, meint Angelika Millendorfer. Warum die kosteneffiziente Erdölförderung bald an ihre Grenzen stößt, welche anderen Ressourcen und Wirtschaftssektoren das Land zu bieten hat und mit wem man sich als Auslandsinvestor gut stellen sollte, erklärt die Osteuropa-Fondsmanagerin und Leiterin des Schwellenmarkt-Aktiengeschäfts der österreichischen Fondsgesellschaft Raiffeisen Capital Management (RCM) im Gespräch mit DAS INVESTMENT.com.

Russland
DAS INVESTMENT.com: Die jüngste Finanz- und Wirtschaftskrise hat zwar alle Länder erfasst. Am schlechtesten schnitt 2008 jedoch der russische Markt ab. Warum?

Angelika Millendorfer: Als ein zyklischer Markt hat Russland stärker als andere Länder unter den krisenbedingten Einbrüchen gelitten. Hinzu kam die negative Marktstimmung, die zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung wurde. Trotz der teilweise gar nicht so schlechten Fundamentaldaten versuchten die Investoren panikartig, ihre Russland-Investments loszuwerden. Dadurch fielen die Aktienkurse ins Bodenlose, was den Ausverkauf weiter beschleunigte.

DAS INVESTMENT.com: Daraufhin schloss die Regierung im Oktober 2008 kurzerhand die Börsen. Und auch sonst mischt sich Kreml nur zu gerne ins Wirtschaftsgeschehen ein. Ein Anlegerparadies sieht anders aus.

Millendorfer: Nicht unbedingt. Denn wie das jüngste Leerverkauf-Verbot in Deutschland zeigt, ist man vor investorenunfreundlichen politischen Entscheidungen auch in den Industrieländern nicht gefeit. Was zählt, ist der langfristige Erfolg – und Russland-Fonds schnitten auf Zehn-Jahres-Sicht weltweit fast am besten ab. Zudem litt Russland aufgrund seiner zyklischen Wirtschaft zwar am meisten unter der Krise, hat aber auch am stärksten von dem jetzt einsetzenden Aufschwung profitiert.

DAS INVESTMENT.com: Die Entwicklung des russischen Aktienmarktes gleicht also einer Achterbahnfahrt. Ist es nicht zu gefährlich, jetzt dort einzusteigen?

Millendorfer: Wer in Schwellenländern investiert, sollte grundsätzlich mit einer hohen Volatilität rechnen. Dafür gibt es aber hohe Risikoprämien. Und verglichen mit anderen Schwellenmärkten sind russische Aktien derzeit immer noch gut bewertet. Wir gehen davon aus, dass Russland-Papiere auch in der zweiten Jahreshälfte für Investoren interessant bleiben werden.

DAS INVESTMENT.com: Meinen Sie damit Gasprom, Lukoil und andere Energie-Werte?

Millendorfer: Nicht nur. Natürlich hat Russland als der größte Produzent von Erdöl und Gas enorm von den steigenden Energiepreisen in den vergangenen zehn Jahren profitiert. Doch jetzt hat die Ölproduktion einen Punkt erreicht, ab dem nur noch ein langsames Wachstum möglich ist. Denn die kosteneffiziente Erdölförderung aus leicht erschließbaren Ölfeldern stößt nun an ihre Grenzen.

DAS INVESTMENT.com: Dabei ist Russland doch gerade wegen seines Reichtums an Energieressourcen bekannt.

Millendorfer: Ja, das stimmt. Das Land verfügt zwar nach wie vor über enorme natürliche Ressourcen, die aber größtenteils noch erschlossen werden müssen. Dies erfordert hohe Investitionen. Auch die Infrastruktur in den Förderregionen muss ausgebaut werden. Das könnte Jahre dauern. Hinzu kommen noch die hohen Exportsteuer auf Erdöl, so dass sich Investitionen in die Erschließung neuer Ölfelder in Zukunft immer weniger rentieren werden. Allerdings scheint Moskau das Steuerproblem mittlerweile einzusehen. Im russischen Parlament werden Stimmen laut, die eine steuerliche Entlastung der Ölproduzenten fordern. Ich könnte mir vorstellen, dass das Steuersystem zukünftig vollständig reformiert wird. Aber das braucht Zeit. Wir halten daher die Augen auch für andere Wirtschaftssektoren offen.

DAS INVESTMENT.com: Die da wären?

Millendorfer: Die Metallindustrie zum Beispiel. 5 Prozent der weltweiten Kupfer-Produktion, sowie 12 Prozent der Platin- und 43 Prozent der Palladium-Produktion entfallen auf Russland. Und die weltweite Nachfrage nach diesen Metallen steigt.

DAS INVESTMENT.com: Und wie sieht es mit der Binnennachfrage in Russland aus?

Millendorfer: Besser als in vielen anderen Schwellenländern. Denn die Gewinne aus den Öl- und Gasexporten sowie die hohen Steuern auf diese Rohstoffe haben zu einem stark steigenden Durchschnittseinkommen geführt. Das russische Pro-Kopf-Einkommen ist derzeit fast doppelt so hoch wie das in China. Sektoren, die von diesem Trend profitieren, sind die Telekommunikations-Branche, sowie der Konsumgüter- und der Gesundheits-Bereich. Einen leichten Aufwärtstrend sehen wir zudem auch im russischen Bankensektor.

DAS INVESTMENT.com: Was halten Sie von den politischen Rahmenbedingungen?

Millendorfer: Die politische Situation ist stabil. Das Tandem Medwedew-Putin scheint reibungslos zu funktionieren, wobei Putin als Premierminister nach wie vor die Fäden zieht. Als Auslandsinvestor sollte man es sich also mit Putin und seinem Vize Igor Setschin, der gleichzeitig Aufsichtsratspräsident des Mineralölkonzerns Rosneft ist, besser nicht verscherzen. Und was die Staatsfinanzen betrifft, könnte Russland einigen EU-Mitgliedern als Vorbild dienen.

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